Requiem für Papst Franziskus

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Liebe Mitbrüder
Liebe Delegierte der staatskirchenrechtlichen kantonalen Körperschaften unseres Bistums
Liebe Schwestern und Brüder

Wie wir gehört haben, sagte Jesus zu Maria von Magdala:

«Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.»

Die Überwindung der Versuchung, Jesus für sich zu behalten, ist nach meiner Ansicht die Kernbotschaft und das Vermächtnis des ganzen Pontifikats von Papst Franziskus. Es entspricht seiner häufigen Aussage, die ich immer wieder sehr gerne zur Sprache bringe, von einer Chiesa in uscita. Es geht um eine Kirche, die frei von sich selbst sein will. Es ist zweifelsohne ein Risiko, es ist aber das, was die Kirche wirklich wirksam macht, wirksam als Heil für die Welt. Die Neigung zur Exklusivität, das Sich-Einbilden, das Exklusive zu besitzen, macht uns befangen von uns selbst und wir bleiben ohne Anziehungskraft und ohne Ausstrahlung.

Vom ersten Tag seines Wirkens an hat Papst Franziskus die katholische Kirche im Sinne ihrer Mission erneuern wollen. Die Kirche ist Mission und die Mission geschieht durch die Kirche. Es geht um die Sendung und Mission des ganzen Volkes Gottes, wozu alle berufen sind, aktiv mitzuwirken. Die Kirche ist synodal und die Synodalität macht die Kirche aus. Der Auftrag des Auferstandenen an Maria von Magdala ist der dauernde Auftrag an die Kirche: «Halte mich nicht fest!», nicht bei sich selbst stehenbleiben, sondern der ganzen Welt verkünden, dass alle Menschen Geschwister Jesu sind, dass alle Menschen Kinder desselben Gottes sind.

Wir dürfen keine Zeit verlieren, wir dürfen keine Zeit mit uns selber verlieren. Die Menschen erwarten dringend eine Botschaft der Hoffnung, der Zuversicht, des Friedens und der Freude. Ununterbrochen hat Papst Franziskus versucht, uns dies einzuprägen. In seiner diesjährigen Botschaft zur Fastenzeit schrieb er unter anderem: Wir wollen diesen Weg gemeinsam gehen. Gemeinsam zu gehen, synodal zu sein, das ist die Berufung der Kirche. Die Christen sind dazu gerufen, gemeinsam zu gehen, niemals Einzelgänger zu sein. Der Heilige Geist drängt uns, aus uns selbst herauszugehen, um auf Gott und unsere Brüder und Schwestern zuzugehen, und uns niemals in uns selbst zu verschliessen. (…) In dieser Fastenzeit fordert Gott uns auf, zu prüfen, ob wir in unserem Leben, in unseren Familien, an unseren Arbeitsplätzen, in unseren Pfarreien oder Ordensgemeinschaften in der Lage sind, gemeinsam mit den anderen zu gehen, zuzuhören und die Versuchung zu überwinden, uns in unserer Selbstbezogenheit zu verschanzen und nur auf unsere eigenen Bedürfnisse zu achten.

So wie die erste Enzyklika des hl. Papstes Johannes Paul II., Redemptor hominis programmatisch war und bereits sein ganzes anschliessendes Lehramt vorankündete, ist das Apostolische Schreiben Evangelii gaudium von Papst Franziskus am Anfang seines Dienstes programmatisch für sein ganzes Wirken gewesen. Ununterbrochen hat er verkündigt, dass die Welt lebt und das Heil findet, weil Gott uns seinen Sohn geschenkt hat. Das ist das Evangelium und das ist die Freude, die das Evangelium beinhaltet. Diese befreiende Wahrheit darf nicht durch anderes verdrängt oder verdunkelt werden. Er schrieb damals: Eine Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt steht nicht unter dem Zwang der zusammenhanglosen Vermittlung einer Vielzahl von Lehren, die man durch unnachgiebige Beharrlichkeit aufzudrängen sucht. Wenn man ein pastorales Ziel und einen missionarischen Stil übernimmt, der wirklich alle ohne Ausnahmen und Ausschliessung erreichen soll, konzentriert sich die Verkündigung auf das Wesentliche, auf das, was schöner, grösser, anziehender und zugleich notwendiger ist. Die Aussage vereinfacht sich, ohne dadurch Tiefe und Wahrheit einzubüssen, und wird so überzeugender und strahlender (EG 35). Auch hier geht es um ein Herausgehen aus dem starren, musealen, toten Korsett und um ein Hinausgehen zu allen Menschen mit der Botschaft, dass Christus auferstanden ist und dass er uns liebend im Hier und Heute nicht im Stich lässt, sondern begleitet.

In der heutigen Lesung haben wir von Paulus gehört: «Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten!» Dieses Versprechen dürfen wir nicht nostalgisch, als etwas das einmal im Jenseits erlebt werden kann, verstehen, sondern vielmehr als eine Realität, die wir bereits unterwegs als Pilger der Hoffnung erfahren dürfen, nämlich weil Jesus, der Gute Hirt seiner Kirche, mit uns mitpilgert. Ja, wir sind wahrhaftig dazu berufen – wie auch Paulus schreibt – nicht zu trauern, nicht bei den Wunden, Makeln und Schmutzstellen der Kirche wie gelähmt zu verharren, sondern sollen vertrauensvoll als Pilger der Hoffnung voranschreiten, weil der Auferstandene uns liebt, begleitet und trägt.

Papst Franziskus wollte in einem schlichten Grab in Santa Maria Maggiore begraben werden. Ich weiss nicht, ob alle wissen, dass dort auch ein anderes schlichtes Grab vorhanden ist. Nämlich das Grab des berühmten Architekten, Künstlers und Bildhauers Bernini. Wissen Sie, wo sich dieses Grab befindet? Er hat sich nicht ein prächtiges Grabmal errichten lassen, nein. Um auf die hintere Empore hinaufzusteigen, gibt es eine einfache, bedeutungslose Treppe. Unter einer Stufe dieser Treppe ist Bernini schmucklos begraben, einfach mit der Inschrift: Wenn das Leben eines Menschen nicht dazu nützt, dass andere Menschen durch das Leben leichter und einfacher voranschreiten können, hat es sich nicht genützt. Dieser Spruch hat sich im Leben von Papst Franziskus völlig erfüllt. Am vergangenen Osterfest ist er ein letztes Mal aus sich selbst herausgekommen, um mit seiner letzten Lebensenergie für die Menschen da zu sein und sie zu segnen: Ja, ein selbstloses, restloses Uscire, sein andauerndes Beispiel für uns und ein kostbares Erbe für die ganze Kirche und für die ganze Menschheit. Amen

 

Chur, 2. Mai 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

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