Ausstellung Turiner Grabtuch in Maria Lourdes, Zürich

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Lieber Generalvikar Luis, liebe Mitbrüder
Liebe Schwestern und Brüder

 

Wenn wir etwas vorhaben und uns dabei die Frage stellen: Was bringt mir das? Wird daraus nie etwas Grosses entstehen. Das echt Grosse im Leben, was bleibende Spuren hinterlässt, was die Welt dauerhaft zum Besseren verändert, ist das, was sozusagen nichts bringt. Die wahre Liebe bezweckt nichts, sucht nicht Rendite, hängt nicht von Gegenleistungen ab und lässt sich nicht von Undankbarkeit enttäuschen oder bremsen. Die Liebe bringt nichts und nur die Liebe bringt alles zustande.

 

Damals, am Grab unseres Herrn und Heilandes, fragten die Engel Maria von Magdala: «Warum weinst du?» Anders gesagt: Was suchst du mit deinem Weinen, was willst du zustande bringen? Jesus, welchen Maria mit dem Gärtner verwechselte, fragte sie auch: «Frau, warum weinst du, wen suchst du?»

 

Wir können uns vorstellen, was Maria suchte, warum sie weinte. Jesus hatte ihr den Sinn des Lebens erschlossen. Sie konnte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, ihn für immer vermissen zu müssen. Sie wollte wenigstens den Leichnam sozusagen als Erinnerung, Trost und Stütze haben, etwas, das ihrem Leben weiterhin Inhalt und Sinn gibt. Was sie jenem antwortete, den sie noch weiterhin als Gärtner betrachtete, war klar: «Sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.» Sie erhoffte sich, dass diese Gegenwart des Leichnams ihr weiterhin einen Sinn für das Leben schenkt.

 

Nun, bei der Eröffnung dieser Ausstellung des Turiner Grabtuches, frage ich: Was bewegt uns bei dieser Ausstellung? Warum sind wir heute hier? Was suchen wir? Was werden die Menschen suchen, die in nächster Zeit diese Ausstellung besuchen werden? Seit vielen Jahrhunderten ist dieses heilige Tuch ein Zeichen, eine Hilfe, eine Unterstützung für den Glauben vieler Generationen. Es ist tatsächlich so, dass wir oft eine Zusicherung, Beweise suchen und brauchen bezüglich der Menschwerdung, ja, dass Gott in unserer Geschichte Mensch wurde, für uns lebte und litt, den Tod besiegte und auferstand, in den Himmel aufstieg und dort für uns das ewige Glück vorbereitet hat, die ewige Fülle, welche wir alle erwarten. Dieses Tuch spricht zeichenhaft von all dem. So schöpfen wir daraus Halt, Glaubenssicherheit, Stärkung für unsere Hoffnung. Alles ist irgendwie Antwort auf die Frage: Was bringt mir das?

 

Als Jesus dann Maria beim Namen nannte und sie ihn entdeckte, wollte sie ihn festhalten. Darf ich sagen: Sie wollte, dass Jesus ihr wieder alles bringt. Jesus aber erwiderte ihr: «Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.» Heisst das nicht im Grunde: Höre auf zu suchen, dass meine Nähe und Gegenwart dir etwas bringen, sondern bring meine Gegenwart zu den andern, zu meinen und deinen Mitbrüdern und Schwestern. Kümmere dich nicht um dich selbst, sei Apostelin und Verkünderin für die andern.

Im Herrn Geliebte, im Grunde betrachten wir hier, das, was das radikalste, und ganzheitlichste Umdenken der Geschichte gewesen ist. Es heisst, im Grunde so zu denken und zu empfinden, so zu handeln, wie Gott es tut. Das wird wunderbar im Lied vom Gottesknecht geschildert: «Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Vergehen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Züchtigung auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der HERR liess auf ihn treffen die Schuld von uns allen.» Das unermessliche Leiden unseres Herrn, das wir durch das Grabtuch erahnen können, hat ihm nichts gebracht, sondern ihm alles genommen und uns allen alles gebracht. Er hat es nicht einmal getan, damit wir seine Jünger werden, um uns zu zwingen, ihn zu lieben. Nein, er hat es aus Liebe getan, ohne Selbstzweck, ohne Rendite einer Jüngerschaft, ohne von uns Gegenleistungen zu erwarten. Die Liebe, die wahre Liebe sucht nie, was ihr etwas bringt. Nochmals: Es ist die grosse Lektion des Kreuzes. Dort war Jesus nicht für sich, sondern für uns und uninteressiert, das heisst ohne Selbstinteresse, ohne Erwartungen, das heisst ohne für sich selbst etwas zu erwarten. Und Maria war mit der Aufgabe zu den Jüngern gesandt: Geh zu meinen Brüdern und Schwestern und bring Liebe, ohne Liebe zu erwarten.

 

Dieses verehrenswerte Turiner-Tuch kann man, so betrachtet, als eine grosse Schule der Liebe verstehen. Es lädt uns ein, für den Glauben, für die Hoffnung und für die Liebe der andern zu leben, auch wenn wir selber weiterhin im Dunkel tappen, unsicher bleiben und als Suchende ausharren müssen. Hier kommt mir natürlich auch in den Sinn, das, was das Leben von Mutter Teresa von Kalkutta ausmachte. Sie befand sich während 40 Jahren in einer total dunklen Nacht des Glaubens und in diesem Zustand war sie dennoch Glaubenslicht für unzählige Menschen.

 

Liebe Brüder und Schwestern, wir sind hier und verehren dieses Grabtuch nicht, weil wir für uns etwas erwarten, nicht mit der Haltung: Hoffentlich bringt mir das etwas, nicht um etwas zu gewinnen, sondern um bessere Werkzeuge zu werden, um den Glauben und die Zuversicht, die Hoffnung und das Glück, die Freude und die Herzensfülle unserer Mitmenschen anzukurbeln. Verinnerlichen wir den Auftrag unseres Herrn: «Halte mich nicht fest (…) Geh aber zu meinen Brüdern.» Amen.

 

Maria Lourdes ZH, 16. August 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

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