Alpenländertagung der Gefängnisseelsorge - Festpredigt & Grusswort

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Ökumenische Tagung für Gefängnisseelsorgende

Liebe Schwestern und Brüder in Christus

Die Gestalt des hl. Johannes des Täufers, dessen Geburt wir in der katholischen Kirche heute liturgisch feiern, habe ich immer mehr liebgewonnen. Er musste in seinem Leben – so meine ich – ein Umdenken vollziehen, das ich in meinem seelsorglichen Denken auch vollziehen musste. Ich werde es noch erklären.

Bei der Beschneidung von Johannes dem Täufer, fragten sich die Leute im Bergland von Judäa: «Was wird wohl aus diesem Kind werden?» Ist das nicht eine Frage, die oft gestellt wird, eine Frage, die wir uns oft stellen? Es geht um die Erwartungen von Eltern und Erzieher. Aber auch wir haben bestimmt Erwartungen an uns selber. Manchmal entmutigt es uns, dass wir nicht so werden, wie wir es uns wünschen. Nicht selten und nicht zuletzt ist es unsere Umgebung, die auch Erwartungen an uns hat. Gerade bei inhaftierten Personen wird diese Frage aus verschiedenen Blickwinkeln virulent gestellt: Was wird aus diesem verurteilten Menschen werden? Sie selber, die Menschen, die sich eine Zeitlang in einem Gefängnis befinden, stellen sich bestimmt die Frage: Was wird aus mir noch werden? Was wird mit mir geschehen, habe ich noch Zukunft? Oder im schlimmsten Fall stellen sie sich diese Frage nicht mehr, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Leben keine Perspektive mehr hat. Und wir selber, wenn wir diese Menschen begleiten und uns fragen, was wird aus diesen Menschen werden, antworten wir mit Skepsis? Oder sind wir fähig, auch Hoffnung im Hinblick auf diese Menschen zu entwickeln und ihnen Hoffnung zu schenken? Dies ist nicht zuletzt eine Frage des Glaubens. Wenn wir überzeugt sind, wenn wir wirklich glauben, dass vor allem Gott angesichts der Geschichte, des Schicksals, der Fehler, des Scheiterns, des Fallens und Aufstehens eines jeden Menschen in ungebrochener Liebe und in beharrlicher Hoffnung sich die Frage stellt: Was wird wohl aus diesem Menschen werden? dann sind wir wirklich Seelsorgerinnen und Seelsorger im vollchristlichen Sinn. Es geht nicht um billigen Trost und fromme Floskeln, sondern um die Überzeugung, dass jeder Mensch Zukunft hat und dass er auch in der Gebrochenheit der Gegenwart in den Augen Gottes wertvoll und kostbar bleibt.

Jeder von uns und jeder Mensch, konfrontiert mit all den verschiedenen Erwartungen, erlebt eine Dynamik, einen Lernprozess, eine Entwicklung. Unsere Vorstellungen und Erwartungen müssen stets redimensioniert, revidiert und umgestaltet werden. Wir verändern uns, wir wachsen, wir entwickeln neue Perspektiven, wir bleiben Lernende bis zuletzt, ja nicht zuletzt bis zuletzt Lernende der Liebe.

Im Buch des Propheten Jesaja finden wir Worte über den Gottesknecht, die auch zu Johannes dem Täufer gut passen: «Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen». Ein Ruf, eine Sendung zuerst für das Volk Israel, aber es heisst weiter, dass das zu wenig wäre. Es gilt: «Ich mache dich zum Licht der Nationen; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht». Dieser Auftrag, diese Aufgabe, diese Sendung gilt im Grunde für jede Christin und für jeden Christen. Gott erwartet von uns, dass wir für unsere vertraute Umgebung Frohbotschaft, Evangelium werden und dass wir gleichzeitig mit unserem Leben für die gesamte Welt eine Saat des Guten verkörpern.

Diese Sendung könnten wir uns aber falsch vorstellen. Einerseits könnten wir denken, dass eine solche Sendung unsere begrenzten Kräfte übersteigt, dass wir überfordert sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Gefängnisseelsorgende, in Ihrem Wirken oft eine gewisse Ohnmacht verspüren. Sie sind mit Mächten konfrontiert, die nicht selten Ohnmacht im eigenen Herzen hervorrufen. Andererseits könnten wir zur falschen Vorstellung gelangen, dass, damit in dieser chaotischen Welt, in diesen Abgründen des Bösen, die wir wahrnehmen, Ordnung geschaffen wird, radikale Massnahmen, äusserst scharfe Verurteilungen, aufsehenerregende und aussergewöhnliche Vorkommnisse erforderlich wären, sonst bleibt alles beim Alten. Dies ist aber nicht die Art Gottes zu handeln. Das ist nicht das, was Gott für gewöhnlich von uns erwartet.

Der hl. Johannes der Täufer meinte am Anfang seines Wirkens auch, dass mit all dem, was in der Welt nicht in Ordnung ist, radikal umgegangen werden müsste. Er predigte wie wir wissen: «Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Früchte hervor, die eure Umkehr zeigen, und fangt nicht an, bei euch zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen». Deswegen war er total perplex und unsicher, als er im Gefängnis vom Wirken Jesu hörte, der nicht so handelte, wie er es erwartet hatte. Er war so erstaunt, dass er seine Jünger zu Jesus schickte, mit der Frage: «Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?» Die Antwort Jesu kennen wir: «Geht und berichtet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen und Aussätzige werden rein; Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoss nimmt». Johannes der Täufer musste tatsächlich seine Vorstellungen über Jesus, seine Erwartung an den Messias total revidieren. Er brachte dies fertig. Seine Erwartungen wurden kleiner und die Erwartungen Gottes in seinem Herzen wurden grösser.

Liebe Schwestern und Brüder, das, was wir für die Kleinsten tun, ist das, was wir für Gott tun können, ohne Lärm, ohne Aufsehen, ohne Bewunderung. Ein Lächeln von uns, ein tiefsinniges Zuhören, ein Wort der Verzeihung, des Verständnisses, ein Blick der Zuneigung, ein kleiner Dienst, eine Geste der Demut, all das kann die Herzen der Menschen, denen wir begegnen, erreichen und ein Samen im Kleinsten sein, der einen Strom des Guten und der Hoffnung für die ganze Welt entfachen kann. Das Kleinste, das doch gesät und vollbracht wird, erreicht grosse Dimensionen des Heils. Es ist das, was ich vorher als Schule der Liebe bezeichnete. Es ist der Weg der Seligpreisungen, die nur in der Nachfolge Christi verstanden werden kann. Machen wir uns auf den Weg. Bemühen wir uns mit Hilfe der Gnade Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung, Botschafterinnen und Botschafter des Heils in der Welt zu sein. Amen

 

Bethanien, 24. Juni 2025

Joseph Maria Bonnemain
Bischof von Chur

 

 

Grussworte des Bischofs

Geschätzte Verantwortliche und Organisatoren der ökumenischen Alpenländertagung für Gefängnisseelsorgende von Bayern, Österreich und der Schweiz
Geschätzte Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger
Geschätzte Tagungsreferenten und Tagungsteilnehmende
Geschätzte Gäste

Es freut mich sehr, ja ausserordentlich, als diözesaner Ortsbischof Sie am Anfang dieser Tagung herzlich zu begrüssen und hier in Bethanien willkommen zu heissen.

Ich fühle mich Ihnen geistig sehr nahe. Während 37 Jahren habe ich als Spitalseelsorger in Zürich gewirkt. Ich verheimliche nicht, dass diese anspruchsvollen Jahre, gleichzeitig aber auch die glücklichsten und erfüllendsten meines Lebens waren. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Leben und Ihr Wirken mit inhaftierten Menschen eine ähnlich herausfordernde und gleichzeitig spannende Mischung darstellen.

In einem Spital, wie auch in einem Gefängnis sind wir tagtäglich mit der Ohnmacht im menschlichen Leben konfrontiert. Als Seelsorgende sind wir in dieser Wirklichkeit Botschafterinnen und Botschafter der einzigen wirklichen Macht, die frei ist von Aggressivität, von Ungerechtigkeit, von Grenzüberschreitung und von Übergriffigkeit; nämlich: die Macht der Ohnmacht Gottes. Es ist die einzige Macht, welche die Welt rettet, die Macht einer Liebe, welche die Hingabe nicht scheut.

Sie werden sich in den kommenden Tagen mit der Spannung zwischen Macht/Machtstrukturen und Ohnmacht auseinandersetzen, die man in diesen Strukturen oft erlebt, erleidet und die tagtäglich gegenwärtig bleibt. Deswegen wünsche ich Ihnen inspirierende Referate, einen fruchtbaren Austausch, neue Fachkenntnisse, aber auch erholsame und entspannende Momente in der schönen Obwaldner Landschaft.

 

 

 

Hintergrund Gefängnisseelsorge

Gefängnisseelsorge bietet einen Freiraum in den Institutionen des Freiheitsentzugs. Eine Herausforderung und ein Balanceakt für die Seelsorgenden und für die Institutionen!

Der Schweizerische Verein für Gefängnisseelsorge vertritt als nationale Organisation die Interessen der Mitglieder gegenüber Behörden und Anstellungsträgern und fördert den inter-religiösen Fachaustausch. Der Verein setzt sich für die Vernetzung sowie die Aus- und Weiterbildung ein.

Gefängnisseelsorge

Gefängnisseelsorge gibt Raum für das Religiöse, das Transzendente, für die Suche nach Sinn und Hoffnung in einer aussergewöhnlichen Lebenssituation. Sie ist vor allem Beziehungsarbeit – sie entsteht in Gesprächen, im Zuhören, im gemeinsamen Feiern und in der Suche nach Orientierung.


Wir bringen unsere Erfahrung, unsere Werte und unser Menschenbild ein, getragen von der Überzeugung, dass jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat. Unvoreingenommen, empathisch und auf Augenhöhe begegnen wir den Inhaftierten und nehmen sie mit ihrer Geschichte und ihren Fragen ernst.


Seelsorge bedeutet, Zeit zu schenken, zuzuhören, Raum zu geben für das, was ausgesprochen werden will. Sie bedeutet da zu sein – wenn Ängste lähmen, Lebenspläne zerbrechen, Emotionen überwältigen oder Fragen nach Schuld, Beziehungen, Glaube und Sinn auftauchen. Wir pflegen religiöse Rituale, suchen gemeinsam nach dem, was trägt, tröstet, Vertrauen und Hoffnung schenkt.
Gefängnisseelsorge schaut auch auf das Unvollkommene, auf das Scheitern – in der Überzeugung, dass Versöhnung und Neuanfang möglich sind: mit Gott, mit anderen und mit sich selbst.

Macht und Machtstrukturen - Fokus der Tagung

Beim genauen Hinschauen begegnet uns in der Gefängnisseelsorge (Ohn-)Macht beinahe auf Schritt und Tritt. Fachpersonen werfen für und mit uns von ihrem beruflichen Hintergrund aus drei Schlaglichter auf das facettenreiche Thema.


Bei der Tat spielen Macht- und Ohnmachtserfahrungen eine grosse Rolle, manchmal ganz augenfällig, bisweilen im Hintergrund und das sowohl auf der Seite des Täters oder der Täterin (aktuell und auch in der Vergangenheit liegend) wie auch in vielen Fällen auf der Seite des Opfers. Im Gefängnis erleben Inhaftierte die Macht der Justiz und der darin agierenden Personen: Richterinnen und Staatsanwälte, Gefängnisleitende, Aufseherinnen und Aufseher… während sich bei ihnen selbst Gefühle der Ohnmacht breit machen können. Das Personal seinerseits ist in eine Hierachie eingebunden und oftmals bilden sich auch unter inhaftierten Personen Machtgefälle aus.

Am verborgensten ist Macht in der Seelsorge. Wir begegnen Menschen in schwierigen Lebensphasen, inhaftierte Personen sind bei uns mehr als Verdächtige*r/Verurteilte*r/Täter*in, sie öffnen sich uns in vielen Fällen mit ihrer ganzen Lebensgeschichte und zeigen sich von ihrer verletzlichen und vielleicht sogar verletzten Seite. Sind wir uns unserer Machtstellung im Rahmen der seelsorglichen Beziehung nicht bewusst und gehen unverantwortlich damit um, hat das verheerende Folgen.

 

Referenten & Gastredner der Tagung

  • Pfr. Alfredo Díez, Präsident Schweiz. Verein für Gefängnisseelsorge
  • Mgr. Dr. Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur
  • Catherine Berger, Vizepräsidentin Ev.-reformierte Kirche Schweiz
  • Alois Vogler, Präsident Kirchgemeindeverband Obwalden
  • Mario Kunz, Gefängnisseelsorge Bayern
  • Mag. Alexandra Keisler-Dité, Gefängnisseelsorge Österreich
  • Andreas Beerli, Gefängnisseelsorge Schweiz
  • Univ.-Prof. Dr. med. Reinhard Haller, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut und Gerichtsgutachter
  • Nathalie Dorn, Direktorin Untersuchungsgefängnisse Zürich, Sozialarbeiterin FH, MAS Systemische Beratung & Leadership
  • Dr. Stefan Loppacher, Leiter der Dienststelle Missbrauch im kirchlichen Kontext der Römisch-katholischen Kirche der Schweiz und Co-Leitung der Fachstelle Machtraum

 

 

Bethanien, 23. Juni 2025

Nicole Büchel
Kommunikationsverantwortliche Bistum Chur

Fotos: iStock/Denys Shapovalov, zVg

 

 

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